Peteranderl Interview
Handwerkskammer für München und Oberbayern

Fehlende Nachfrage lässt Auftragsbestand im bayerischen Handwerk weiter sinkenPeteranderl: "Die Bundesregierung muss in der 2. Halbzeit ihrer Legislatur viel aktiver werden"

25. Oktober 2023

"Die Tage werden trüber und leider auch die wirtschaftliche Großwetterlage in Deutschland. Trotzdem haben 84 Prozent der bayerischen Handwerksbetriebe ihre Geschäftslage im 3. Quartal als gut oder befriedigend bewertet", berichtet Franz Xaver Peteranderl, Präsident des Bayerischen Handwerkstages (BHT). Das schwache Konsumklima, eine verhaltene Investitionstätigkeit der Unternehmen und die hohe Unsicherheit mit Blick auf die künftigen Energiekosten beeinflussten auch die Nachfrage im bayerischen Handwerk: 14 Prozent der befragten Betriebe meldeten für das 3. Quartal mehr Nachfrage (Vorjahr: 16 Prozent), während 36 Prozent der Betriebe weniger Bestellungen verzeichneten. Hier steht im Vorjahresvergleich eine leichte Verschlechterung um 2 Punkte. Die Betriebsauslastung im bayerischen Handwerk sank im Berichtszeitraum aufgrund der rückläufigen Nachfrage um 1 Punkt auf immer noch zufriedenstellende 80 Prozent.

Insgesamt wirkten sich die in den meisten Betrieben noch vorhandenen Aufträge stabilisierend auf die Bestände aus. Da aber weniger neue Bestellungen hinzukamen, gingen die Auftragsbestände im 3. Quartal um durchschnittlich 0,6 auf nunmehr 9,4 Wochen zurück. Die Preissteigerung hat sich im Berichtszeitraum weiter abgeschwächt. Berichteten vor einem Jahr noch 85 Prozent der befragten Handwerksbetriebe in Bayern von gestiegenen Einkaufs- und 55 Prozent von höheren Verkaufspreisen, waren es im 3. Quartal noch 41 bzw. 24 Prozent. Der Preisanstieg verlangsamte sich im Berichtszeitraum zwar, die nominalen Umsätze legten trotzdem weiter zu: Nach BHT-Schätzungen wurden im bayerischen Handwerk zwischen Juli und September rund 39,3 Milliarden Euro umgesetzt. Binnen Jahresfrist ist dies ein nominaler Zuwachs von 5,7 Prozent. Rechnet man die Preissteigerung heraus, steht unterm Strich aber ein reales Minus von etwa 1,3 Prozent.

Auch auf dem Arbeitsmarkt gibt es vorerst keine Entwarnung: 14 Prozent der befragten Betriebe konnten ihre Belegschaft im 3. Quartal aufstocken (minus 1 Punkt), während 17 Prozent zu Freistellungen gezwungen waren (plus 1 Punkt). Nach Schätzungen des BHT waren Ende September 965.000 Personen im bayerischen Handwerk tätig. Binnen Jahresfrist ist das ein Minus von 1 Prozent. Die Investitionsneigung ist dagegen weiterhin erfreulich stabil: 37 Prozent der bayerischen Handwerksbetriebe investierten im 3. Quartal in ihre Unternehmen. Gegenüber dem Vorjahreszeitraum entspricht dies einem Plus von 2 Punkten. Die Zahl der Handwerksbetriebe im Freistaat lag Ende September bei rund 210.000 (plus 0,1 Prozent).

Da kurzfristig keine Verbesserung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in Sicht ist, steht dem bayerischen Handwerk ein schwacher Jahresabschluss bevor. Dementsprechend pessimistisch sind die befragten Betriebe: 8 Prozent erwarten eine Verbesserung ihrer Geschäftslage bis zum Jahresende, das sind 3 Punkte mehr im Vorjahresvergleich. 26 Prozent rechnen mit einer weiteren Verschlechterung. Gegenüber dem Vorjahr hat sich dieser Indikator um immerhin 9 Punkte verbessert. Für das Gesamtjahr ist beim Umsatz ein nominales Plus von 6 bis 7 Prozent möglich. Abzüglich der Preissteigerung wird mit einem realen Minus von bis zu 2 Prozent gerechnet. Die Beschäftigung dürfte ebenfalls leicht rückläufig sein.

"Eine mittelstandsfreundliche Standortpolitik wäre ein guter Anfang"

"Für die Bundesregierung hat bildlich gesprochen jetzt die 2. Halbzeit ihrer Legislatur begonnen. Wir hoffen, dass sie in den kommenden Monaten ihren passiven Stil aufgibt und – um im Bild zu bleiben – das Spiel viel aktiver gestaltet als bisher. Dafür braucht es aber den Willen, Aufbruchstimmung in unserem Land zu erzeugen, wirtschaftlich wie gesellschaftlich. Eine mittelstandsfreundliche Standortpolitik wäre aus unserer Sicht ein guter Anfang", stellt der BHT-Präsident klar. Damit Deutschland als Standort wieder attraktiver wird, braucht es aus Sicht des bayerischen Handwerks u.a. eine grundlegende Reform der Unternehmensbesteuerung. Ob die von CDU-Chef Friedrich Merz ins Spiel gebrachte rechtsformübergreifende Unternehmensteuer für das Handwerk der richtige Weg ist, bezeichnete Peteranderl als fraglich: "Spürbar entlastend für unsere Betriebe und obendrein einfach umzusetzen, wäre die sofortige und vollständige Abschaffung des Solidaritätszuschlags." Um die Eigenkapitalbasis kleiner und mittlerer Betriebe zu stärken, müsse außerdem die Thesaurierungsrücklage umfassend modernisiert werden.

Da der Bürokratieindex der Bundesregierung für 2022 einen deutlichen Anstieg ausweist, fordert der BHT-Präsident die Politik zum raschen Handeln auf: "Gerade in der aktuellen schwierigen wirtschaftlichen Lage brauchen unsere Betriebe dringend mehr Zeit in der Werkstatt und beim Kundendienst, anstatt Dokumentationen zu erstellen oder Berichtspflichten zu erfüllen." Daher seien Ausnahmeregelungen für kleine und mittlere Betriebe besonders wichtig. Als "fatale Entwicklung" bezeichnet Peteranderl den Anstieg der Sozialabgaben für Arbeitnehmer auf über 40 Prozent: "Die Arbeit in unseren Betrieben wird schließlich von den Beschäftigten erledigt und nicht von einer KI." Der BHT hat deshalb eine Resolution erarbeitet, die bei der Mitgliederversammlung am 27. Oktober in Nürnberg verabschiedet werden soll. Ziel ist, den Gesamtsozialversicherungsbeitrag wieder dauerhaft unter 40 Prozent zu drücken. Dafür sind durchgreifende Strukturreformen erforderlich, die von Maßnahmen zur Stärkung der privaten Eigenvorsorge flankiert werden sollten. Der BHT-Präsident: "Steigende Beitragssätze verteuern die Arbeitskraft kontinuierlich und bedeuten für die Beschäftigten im Handwerk zugleich weniger Netto vom Brutto. Hohe Lohnzusatzkosten schwächen die Wettbewerbsfähigkeit unserer Betriebe und gefährden Arbeits- und Ausbildungsplätze. Schnelles Handeln tut not: Aufgrund der demografischen Entwicklung drohen sonst mittelfristig vor allem in der gesetzlichen Krankenversicherung und in der Pflegeversicherung weitere Beitragserhöhungen."

Um die Finanzierungslücken in der gesetzlichen Krankenversicherung zu schließen, ist eine weitere Belastung der Beitragszahler nicht hinnehmbar. Um das Gesundheitssystem dauerhaft zu stabilisieren, sind grundlegende, nachhaltige Reformen notwendig. Dabei gilt es vor allem, Wirtschaftlichkeitsreserven zu erschließen. Der BHT schlägt vor, den Bundeszuschuss schnellstmöglich an die Entwicklung der gesamtgesellschaftlichen Leistungen anzupassen und kostendeckende Beiträge für Bezieherinnen und Bezieher von Bürgergeld aus Steuermitteln zu erstatten.

Die Chance auf eine Lehrstelle besteht weiterhin

In der Pflegeversicherung ist eine Weiterentwicklung zu einer ergänzenden, obligatorischen privaten Pflegevorsorge mit staatlicher Förderung notwendig. Auch die Rentenversicherung muss zukunftsfest aufgestellt werden. Um eine ganzheitliche Vorsorge fürs Alter zu erreichen, gilt es, vor allem die private Altersvorsorge zu reformieren. Empfehlenswert ist zudem, die Altersvorsorgepflicht für Selbstständige endlich anzugehen. Versicherungsfremde Leistungen müssen aus Steuermitteln finanziert werden. Um das Rentensystem zu stabilisieren, muss außerdem das Potenzial der Erwerbsfähigen durch moderne Rahmenbedingungen, etwa bei der Kinderbetreuung, besser ausgeschöpft werden. Damit der Beitragssatz in der Arbeitslosenversicherung stabil bleiben kann, fordert der BHT, die Gewährung von Kurzarbeitergeld ständig zu überprüfen. Peteranderl: "Es kann nicht sein, dass sich Großkonzerne Unterbrechungen in der Produktion, die durch fehlende Teile verursacht werden, aus den Sozialkassen bezahlen lassen, indem sie ihre Leute in Kurzarbeit schicken." Um die Handwerksbetriebe finanziell und bürokratisch zu entlasten, fordert der BHT weiter, auf die Vorfälligkeit der Sozialversicherungsbeiträge zu verzichten.

BHT-Hauptgeschäftsführer Dr. Frank Hüpers berichtete von der Lage auf dem Lehrstellenmarkt: "Bis Ende September haben die Handwerkskammern in Bayern 24.580 neue Lehrverträge registriert. Das entspricht ziemlich genau dem Stand des Vorjahres. Auch nach Beginn des Ausbildungsjahres werden weiterhin Verträge von unseren Betrieben abgeschlossen. Die Chance, im bayerischen Handwerk eine Ausbildung zu beginnen, besteht somit weiterhin. Es gibt noch viele offene Lehrstellen in unserem Wirtschaftsbereich, die jederzeit besetzt werden können." Es zeige sich immer deutlicher, wie wichtig Aktionen wie der "Tag des Handwerks" an den allgemeinbildenden, weiterführenden Schulen in Bayern seien, sagt Hüpers: "Sie helfen uns dabei, mehr junge Menschen für eine Berufsausbildung zu interessieren und tragen dazu bei, dass mehr Schülerinnen und Schüler ihr nächstes Praktikum in einem Handwerksbetrieb verbringen möchten. In unseren Werkstätten dürften die Einsatzmöglichkeiten vielfältiger sein, als beispielsweise in einer Arztpraxis oder Anwaltskanzlei."

Beitrag von Alexander Tauscher zur Handwerkskonjunktur:

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