Paul von Hagemeister

Berufsbildung ohne GrenzenAls junger Geselle: SHKler Paul in Brasilien

Interview: Malte Stegner

Paul von Hagemeister hat im Sommer 2024 seine SHK-Ausbildung erfolgreich abgeschlossen und im ersten Jahr als Geselle ein Auslandspraktikum in Santa Catarina, Brasilien verbracht. Im Interview erzählt er uns von seinen Erfahrungen und seinem Handwerk in Südamerika. 



Paul, willkommen zurück. Du hast gerade ein Auslandspraktikum hinter dir. Wo warst du?

Ich durfte die Zeit meines Praktikums in der Region Santa Catarina in Brasilien verbringen. Ursprünglich dachte ich, dass ich auch nur dort sein werde. Vor Ort hat sich aber herausgestellt, dass meine Firma tatsächlich in vielen Teilen Brasiliens tätig ist. Deswegen war ich auch oft auf Baustellen in und um São Paulo unterwegs. Dort waren wir dann z.B. auch drei Wochen. Die meiste andere Zeit war ich jedoch wie geplant in Florianópolis.

 

Sehr interessant und tatsächlich sehr weit weg. Warum wolltest du gerade in diesen Teil der Welt?

Ich war letztes Jahr im Sommer privat in Thailand, was bis jetzt meine weiteste Reise war. Mich hat immer schon alles fasziniert, was nicht gewohnt westlich ist. Daher habe ich mich dann nach meinen Erfahrungen in Asien sehr für Südamerika interessiert und mir wurde vorschlagen, dass es über die Handwerkskammer Partnerverbindungen nach Santa Catarina gibt.



„In Brasilien wird sehr viel mehr mit Schweißtechnik als in Deutschland gearbeitet.“

 

Wie lange ging dein Praktikum? Welche Zeit benötigt man, um möglichst viel vor Ort mitnehmen zu können?

Mein Praktikum ging drei Monate. Für mich ist das allerdings eher die untere Grenze des Zeitraums, da sich durchaus auch vier Monate anbieten. Man kann sagen, je entfernter das Land und die Kultur, umso mehr Zeit sollte man einplanen. Natürlich auch, um sich in der Sprache etwas besser zurechtfinden zu können. Man braucht selbstverständlich in einem fremden Land auch immer eine gewisse Zeit, um in die lokalen Gewohnheiten hereinzukommen und sich sein Umfeld aufzubauen.

 

Du bist Geselle im Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik-Handwerk (SHK). Wie hast du dein Gewerk in Brasilien erlebt?

In Deutschland arbeite ich vor allem im Heizungsbereich. Wegen der heißen Temperaturen ist in Brasilien eher die Kältetechnik gefragt und während meines Praktikums lag der Fokus vor allem auf Klimaanlagen, insbesondere auf deren Installation und Wartung. In Deutschland arbeite ich vorwiegend in Einfamilienhäusern, dort war ich in riesigen Anlagen, z.B. in einer Universität im Einsatz. Diese Anlagen umfassen teilweise 300 bis 500 KW Leistung. Im praktischen Bereich ist ein Vergleich sehr interessant. Brasilianische Betriebe haben oft weniger Material zur Verfügung und müssen mit viel weniger Werkzeug auskommen als ihre deutschen Kollegen. Und dennoch verfügt Brasilien über qualitativ sehr gut errichtete Anlagen, was für mich äußerst spannend zu sehen war.

 

Was ist in Brasilien gleich und vor allem, wo liegen die größten Unterschiede?

Ein großer Unterschied ist in erster Linie die Verfügbarkeit der Produkte. Diese müssen in Brasilien zu einem viel größeren Teil importiert werden. Dies ist dort allerdings sehr teuer und dadurch entstehen regional sehr kreative Konzepte wie diese Schwierigkeit anders gelöst werden kann, da die Kunden vor Ort auch sehr preissensibel sind. Zum Beispiel werden Fundamente für Wärmepumpen, die im Einkauf über 1000 Euro kosten, selbst gebaut. In Deutschland kaufen wir alle nötigen Teile fertig ein. In Brasilien wird sehr viel grundlegender angefangen. Das ist eine wesentlich kreativere Herangehensweise an Herausforderungen auf dem Bau.



Wie verlief der Umgang auf der Baustelle?

Die Leute, mit denen ich zusammengearbeitet habe, stammen oft aus sehr einfachen Verhältnissen. Die meisten von ihnen beherrschen auch kein Englisch, weswegen ich mich sehr schnell ans Portugiesisch in der Zusammenarbeit anpassen musste. Das war aber kein Problem, da alle sehr herzlich und hilfsbereit im Umgang waren. Auch merkt man ein sehr starkes Miteinander in den Pausen und wird als Fremder sehr interessiert aufgenommen. Die Arbeitszeiten sind von 7:30 Uhr bis 17 Uhr und damit den unseren sehr ähnlich. Man muss allerdings bedenken, dass Brasilien ein riesiges Land ist und viele meiner Kollegen sehr lange Pendelstrecken von teilweise bis zu zwei Stunden pro Weg in Kauf nehmen mussten, um zu ihrer Arbeit zu kommen.



Die Fremdsprache ist immer ein Thema. Wie kamst du mit Portugiesisch zurecht? Hast du die Sprache vorher gelernt?

Effektiv konnte ich vorher kein Portugiesisch. In München war ich für meine Firma sehr viel im Auto zu Kundenterminen unterwegs und habe während der Fahrten Audio-Lektionen gehört. Das war eine sehr gute Möglichkeit ins Portugiesisch reinzukommen. Vor Ort habe ich auch einen Lehrer gehabt und mich weiter in die Sprache vertieft. Wichtig ist natürlich auch, sich im Gastland so viel wie möglich mit Einheimischen zu unterhalten, um die Sprache so schnell wie möglich zu beherrschen.

 

Was können beide Länder gegenseitig voneinander lernen?

Ich denke von uns kann man lernen, wie man sehr präzise arbeitet und Mittel effizient einsetzt. In Deutschland arbeiten wir z.B. mit einem Laser, um den Raum genau auszumessen und einen Meterriss zu setzen. In Brasilien wird mit Wasserwage von Punkt zu Punkt im Raum gearbeitet. Dadurch geht mitunter viel Zeit auf der Baustelle verloren. Von ihnen können wir uns auf jeden Fall sehr viel Offenheit und Positivität abschauen. Das Arbeiten erscheint dort oft sehr viel fröhlicher und leichter als es in Deutschland manchmal der Fall ist.

 

Siehst du Brasilien gerade wegen der heißen Temperaturen in der Kältetechnik besser aufgestellt als das deutsche Handwerk?

Eine sehr spannende Frage. Über Klimaanlagen kann bei Bedarf auch geheizt werden und es kommt auch sehr darauf an, in welchem Bundesstaat man sich befindet. Im Grunde haben sie in den Gebäuden sehr zuverlässige Anlagen. Ich denke aber, dass die in Deutschland verbaute Technik etwas besser ist, auch wenn die Brasilianer gute Wege gefunden haben, technische Herausforderungen in den Griff zu bekommen. Es kommt in Südamerika ebenfalls stark auf das Kundenbudget an, ob einheimische oder importierte Technik verbaut wird. Deutsche Produkte sind sehr hoch angesehen und haben einen entsprechenden Stellenwert. Allerdings werden auch oft regionale Firmen und deren Produkte verbaut.

 

Was hat dich am brasilianischen SHK-Handwerk am meisten überrascht?

In Brasilien wird sehr viel mehr mit Schweißtechnik als in Deutschland gearbeitet. Bei uns liegt der Fokus viel stärker auf einem Presssystem. Zum Beispiel haben wir ein Rohr mit einem Fitting, das dann zusammengepresst wird. Dieses System ist jedoch deutlich teurer, was dort in der Regel vom Kunden nicht bezahlt wird. Allgemein wird im brasilianischen SHK-Handwerk mehr manuell gearbeitet und handwerklich noch viel mehr in Bezug auf Gewinde schneiden, schweißen und aufdichten tatsächlich von Hand gemacht. Ein überraschendes Projekt war auch das Verbinden von PP-Rohren aus Kunststoff. Diese Rohre werden erwärmt und dann zusammengepresst. Bei dieser Arbeit sind teils bis zu sieben Arbeiter beteiligt, die mit aller Kraft die Rohre in der vollen Sonne zusammendrücken.

  

Was möchtest du für deine weitere Ausbildung und Laufbahn aus dem Praktikum mitnehmen?

Ich denke ein wichtiger Punkt ist, dass wir einem Auslandsaufenthalt für das Handwerk viel attraktiver machen. Das möchte ich vielen anderen Auszubildenen zeigen. Fachlich habe ich jetzt einen Vorsprung, was Klimaanlagen angeht, da ich mich in Deutschland noch nicht so damit beschäftigt hatte. Jetzt kenne ich mich in diesem Bereich gut aus. Auch war ich das erste Mal so richtig in der Planung aktiv. Ich weiß z.B. jetzt wie man Angebote erstellt und Pläne ausliest. In Brasilien war ich nicht nur auf Bauprojekten aktiv, sondern auch im Büro stark eingebunden und durfte diese Seite meines Partnerbetriebs kennenlernen. Neu war für mich auch der Umfang der Projekte, da wir dort, wie schon angesprochen, sehr große Anlagen betreut haben, was ich hier auch noch nicht in dieser Art hatte. Auch die Erfahrung im Umgang mit komplexeren Vorgaben kann ich sehr gut mitnehmen und hier einsetzen.

 

Wie hast du das Thema Nachhaltigkeit am Bau in Brasilien erlebt?

Bauunabhängig fällt auf, dass Nachhaltigkeit in Brasilien kein Thema ist. Auf dem Bau wird jedoch viel repariert und auf den verantwortungsvollen Ressourcen mit den Materialien geachtet. Dadurch, dass viel im Eigenbau gearbeitet wird, kommen natürlich regionale Produkte mit kurzen Lieferketten zum Einsatz.



„Das brasilianische System ist mit seinen Berufsschulen dem unseren sehr nahe. Ähnlich wie bei uns verfügen die Schulen über Ausbildungswerkstätten und die Auszubildenden sind im dualen System auch abwechselnd in der Berufsschule und zu Praxiseinheiten im Betrieb.“

 

In Deutschland haben wir das duale System aus Betrieb und Berufsschule. Wie ist das in Brasilien gehandhabt?

Ich hatte vor Ort eine sehr angenehme Ansprechperson bzw. mein Chef in Brasilien war sehr gut vernetzt, um mir alle Details näher zu bringen. Das brasilianische System ist mit seinen Berufsschulen dem unseren sehr nahe. Ähnlich wie bei uns verfügen die Schulen über Ausbildungswerkstätten und die Auszubildenden sind im dualen System auch abwechselnd in der Berufsschule und zu Praxiseinheiten im Betrieb.

 

Hattest du eine Art "Kulturschock?"

Tatsächlich nicht. Ich fand es sehr viel westlicher, als ich es erwartet hatte. Man fühlt sich in Brasilien sehr schnell sehr wohl. Florianópolis ist aber auch eine der reichsten Städte Brasiliens, was definitiv mit reinspielt. Man muss sagen, dass es zwischen dem Süden und dem Norden des Landes ein wahrnehmbares Wohlstandsgefälle gibt, was ein Ankommen im Süden erleichtert. Mein Chef vor Ort hat Englisch gesprochen. Das hat es für mich natürlich auch einfacher gemacht, mich zurecht zu finden.

 

Wie hast du in einer so schönen Gegend am Meer deine Freizeit verbracht?

Surfen ist hier ein sehr gutes Stichwort. Mit diesem schönen Sport habe ich hier angefangen. Natürlich kann man auch lange am Meer entlang Wandern gehen. Zudem habe ich in meiner Freizeit online noch viel Portugiesisch gelernt.

 

Hast du für deine Zeit vor Ort weiterhin dein Gehalt bekommen?

Mit meinem Betrieb in München hatte ich vereinbart, dass mein Arbeitsvertrag für diese Zeit pausiert. Das Praktikum war ja an sich ein unbezahltes Praktikum, jedoch wurden viele Kosten wie Flug und Unterkunft von Erasmus Plus gefördert. Meine Wohnung habe ich mir zwar selbst organisiert, hatte bei der Suche aber viel Hilfe von meinem Chef.

 

Du warst mit der Berufsbildung ohne Grenzen (BOG) vor Ort. Wie hat die Organisation und Finanzierung des Aufenthaltes funktioniert?

Die Zusammenarbeit war Weltklasse. Frau Mutzel und Frau Budick vom BOG der Handwerkskammer haben mir bei jeder Frage sofort weiterhelfen können, manchmal hatte ich schon innert Minuten eine Rückmeldung per Mail. Das war für mich ein reibungsloser Ablauf ohne Schwierigkeiten in der Organisation.



Was würdest du anderen Azubis empfehlen, die vor der Frage stehen, ob sie ein Auslandspraktikum machen sollen oder nicht?

Von der Organisation her muss sich niemand Sorgen machen - das funktioniert. Man muss aber generell ein offener Typ sein und sich überlegen, ob man sich auf so eine Umstellung einlassen kann und möchte. Natürlich kann man ein Auslandspraktikum mit Erasmus + auch in Europa machen, da wäre die Umstellung vielleicht kleiner. Generell würde ich es sehr empfehlen und ein Auslandspraktikum auf jeden Fall wieder machen. Solange man jung ist und im Betrieb noch keine allzu großen Verpflichtungen hat, ist das eine tolle Sache. Solche Erfahrungen kann man irgendwann im Leben nicht mehr machen, aber genau diese Momente, wie ich sie in Brasilien erlebt habe, machen das Leben und kulturelles Lernen aus.

 



Info: Santa Catarina

Santa Catarina ist der „deutsche“ Bundesstaat in Brasilien. Für Nicht-Portugiesischsprachige klingt dies zunächst erstmal attraktiv. In dieser Region leben viele ursprünglich Deutschstämmige, von denen die ersten zum Ende des 19. Jahrhunderts nach Santa Catarina gekommen sind. Heute gibt es dort Städte mit deutschen Namen wie Blumenau, das unter anderem auch das zweitgrößte Oktoberfest der Welt beheimatet. Man merkt hier den Einfluss der Geschichte und der deutschen Einwanderung sehr stark daran, dass in dieser Region unter anderem auch Deutsch in den Schulen unterrichtet wird.

Paul von Hagemeister
Das Handwerk war natürlich mit vor Ort.



Katrin Budick

Beratung im Netzwerk "Berufsbildung ohne Grenzen"

Telefon 089 5119-223

Fax 089 5119-317

katrin.budick--at--hwk-muenchen.de

Maria Mutzel

Beratung im Netzwerk "Berufsbildung ohne Grenzen"

Telefon 089 5119-222

Fax 089 5119-317

maria.mutzel--at--hwk-muenchen.de