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Wahlprüfsteine zur Europawahl 2019

„Innovativ denken, smart handeln. Das bayerische Handwerk zur Zukunft Europas“

Die Europäische Union ist seit Jahrzehnten die Basis für Frieden, grenzüberschreitenden Austausch und wirtschaftlichen Wohlstand. Davon profitieren auch die vielen kleinen und mittelständischen Betriebe des Handwerks in Bayern. Deshalb tritt das bayerische Handwerk für die europäische Idee ein und sagt „JA“ zu Europa. Gesetze und Maßnahmen aus Brüssel stellen handwerkliche Betriebe jedoch immer wieder vor große Herausforderungen.

Das Handwerk prägt in seiner Vielfalt die Wirtschaft Europas und sichert maßgeblich die Versorgungsstrukturen und das gesellschaftliche Leben in den Regionen. Eine starke europäische Politik für kleine und mittlere Unternehmen (KMU), die fest nach dem Prinzip „Think Small First“, agiert ist daher unerlässlich. Der Bayerische Handwerkstag (BHT) hat seine wichtigsten Forderungen als Wahlprüfsteine und Handlungsanleitung für die nächste Legislaturperiode der Europäischen Union zusammengefasst.



Reformen ankurbeln

Keine Vergemeinschaftung von sozialen Sicherungssystemen und Schulden - Einhaltung der Maastricht-Kriterien

Ein Weg zu mehr Wachstum in den Mitgliedstaaten sind Strukturreformen und klare Fiskalregeln. Eine Vergemeinschaftung der sozialen Sicherungssysteme und von Schulden sowie die Erhebung von Steuern auf europäischer Ebene schaden dem wirtschaftlichen Erfolg der Europäischen Union. Dies setzt falsche Anreize und belastet gerade KMU über die Maße. Die Europäische Union hat hierbei die Aufgabe, darauf zu achten, dass die Mitgliedstaaten ihren Verpflichtungen nachkommen und Defizite beheben. Über die Aufnahme neuer Länder in die Gemeinschaft kann erst beraten werden, wenn das Fundament der Europäischen Union wieder stabil ist.



KMU-Politik leben

Beteiligung von Handwerk und KMU am Normungsprozess - Erleichterung der Unternehmensfinanzierung - Beibehaltung der europäischen KMU-Definition

Mittelstand und Handwerk sind Kern und Motor der europäischen Wirtschaft und Gesellschaft. Durch die überwiegend industriepolitisch geführte Debatte läuft die europäische Politik aktuell Gefahr, das Innovationspotential, das Engagement und die Leistung von KMU des Handwerks zu verkennen. KMU verfügen über flache Hierarchien und leben Werte, die zum Zusammenhalt in Europa beitragen. Eine konsequente Abschätzung der Folgen aller Maßnahmen der EU auf KMU, der Abbau bürokratischer Lasten sowie ein verbesserter Zugang zu Finanzmitteln sind richtige Ansätze, um auch das Potential des Handwerks für Wachstum und Beschäftigung in Europa voll auszuschöpfen. Dabei müssen auch die Melde- und Offenlegungspflichten für Kreditinstitute, die vor allem KMU finanzieren, an deren risikoarmes Geschäftsmodell angepasst werden.

Ferner müssen KMU verstärkt am Normungsprozess beteiligt werden. Das Engagement des europäischen Normungsverbandes für KMU „Small Business Standard“ ist daher noch stärker zu berücksichtigen. Das Handwerk spricht sich für die Beibehaltung der europäischen KMU-Definition und eine gezielte Förderung des Unternehmertums in Europa aus. Wichtig ist, dass Maßnahmen rasch, im Sinne der Unternehmen und in enger Abstimmung mit Kammern und Verbänden umgesetzt werden.



Binnenmarkt KMU-gerecht gestalten

Keine weiteren Harmonisierungsversuche - Verbesserung der grenzüberschreitenden Kommunikation von Behörden - Stärkung bewährter Instrumente

KMU des Handwerks schaffen in ganz Europa individuelle und qualitativ hochwertige Produkte und Dienstleistungen für Wirtschaft und Verbraucher. Der europäische Binnenmarkt öffnet KMU des Handwerks den Zugang zu neuen Märkten und Wertschöpfungsketten in Europa. Harmonisierungsversuche der Europäischen Union verkomplizieren jedoch oftmals mehr als dass sie erleichtern. Ein Binnenmarkt für KMU braucht praktikable Rahmenbedingungen. Dabei muss die Europäische Union auf bestehenden Strukturen aufbauen, die KMU in den Regionen das Dienstleisten erleichtern. Grenzregionen müssen als Wirtschaftsräume funktionsfähig gehalten werden. Der Binnenmarkt kann aus Sicht des Handwerks nur funktionieren, wenn alle Mitgliedstaaten EU-Recht vollständig und – auch im Hinblick auf den Vollzug vor Ort – im Sinne der Verhältnismäßigkeit umsetzen. Der Austausch von Best Practices und die Förderung der grenzüberschreitenden Kommunikation von Behörden über die Landesgrenzen hinweg sollten hierbei unterstützt und verbessert werden.



Subsidiarität wahren

Wahrung der nationalstaatlichen Kompetenzen - Feedback-Mechanismen zwischen Brüssel und den Regionen stärken

Der Mehrwert der Europäischen Union muss für die Unternehmen wieder erkennbar werden. Dabei ist künftig wieder stärker als bisher dem Grundsatz der Subsidiarität zu folgen. Die Europäische Union soll sich um Fragestellungen kümmern, die sie besser regeln kann, als die Mitgliedstaaten selbst. Maßnahmen der EU müssen sich an den Bedürfnissen des Handwerks in den Regionen orientieren. Daher bedarf es konstanter Feedback-Mechanismen zwischen Brüssel und den Regionen. Über Jahrzehnte vor Ort gesammelte Erfahrungswerte bilden einen entscheidenden Mehrwert für eine ausbalancierte Gestaltung und effiziente Steuerung Europas. Dabei muss konsequent die Verteilung der Kompetenzen zwischen der Europäischen Union und den Mitgliedstaaten berücksichtigt werden.



Bürokratie abbauen

Systematische Anwendung des KMU-Tests - Installation eines unabhängigen Kontrollgremiums auf europäischer Ebene - Wettbewerbsverzerrungen vermeiden

KMU des Handwerks sind ein zentraler und verlässlicher Partner für Wirtschaft, Verwaltung und Gesellschaft. Sie erbringen für die Bürgerinnen und Bürger, für die öffentliche Hand und für die Gesamtwirtschaft zahlreiche unverzichtbare Leistungen. Die Institutionen in Brüssel haben daher die Verantwortung, KMU die richtigen Rahmenbedingungen zur Verfügung zu stellen. Europäische Vorgaben dürfen nur dort gemacht werden, wo der Binnenmarkt ohne einheitliche Regelungen nicht funktioniert oder unterschiedliche nationale Vorschriften zu Wettbewerbsverzerrungen führen.

Das bayerische Handwerk begrüßt die Bemühungen der Europäischen Union, Bürokratie abzubauen und EU-Recht zu verschlanken. Die Europäische Union ist daher gefordert, weiter an ihrer Agenda für intelligente Regulierung zu arbeiten, um Rechtsvorschriften möglichst bürokratiearm und praxistauglich zu gestalten. Gesetzesvorhaben und Verwaltungsanweisungen müssen daher konsequent einem KMU-Test unterzogen werden. Insbesondere im Verbraucherrecht sowie bei der Umsetzung der Maßnahmen aus der Säule sozialer Rechte gilt es, konsequent auf Verhältnismäßigkeit zu achten.



Regionale Wirtschaft

Stärkung regionaler Wertschöpfungsketten - Sicherstellung der KMU-Förderung in EFRE und ESF - "Bottom Up" statt "Top Down"

KMU des Handwerks stellen gerade die lokalen Wirtschaftsstrukturen auf eine breite und damit strukturell gesunde Basis. Aufgabe der europäischen Politik muss es sein, die besonderen Herausforderungen in den Regionen stärker in den Blick zu nehmen, ohne dabei die Dynamik vor Ort zu gefährden. Das Handwerk ist Teil regionaler Wirtschaftskreisläufe, diese gilt es auch grenzüberschreitend in ihrer Gesamtheit nach dem Prinzip „Bottom Up“ zu fördern. Ein entscheidender Pfeiler ist dabei die Kohäsionspolitik: Der Europäische Sozialfonds (ESF) und der Europäische Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) spielen für das bayerische Handwerk im Hinblick auf die Förderung der Überbetrieblichen Lehrlingsunterweisung (ÜLU) sowie auf die technische Infrastruktur in den regionalen Bildungszentren eine wichtige Rolle. Die Mittelausstattung der Kohäsionsfonds muss auch in Zukunft sichergestellt und vor allem die Antragstellung vereinfacht werden.



Berufliche Bildung fördern

Anerkennung der Gleichwertigkeit akademischer und beruflicher Bildung - Bekenntnis zum Meistervorbehalt - Bildungsmobilität ausbauen

Das bayerische Handwerk ist durch seine umfassenden und engagierten Aus- und Weiterbildungsleistungen ein Qualifizierungsmotor für die Wirtschaft in Bayern und Europa. Das System der dualen Berufsausbildung hat aufgrund der erfolgreichen Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit und der Sicherung des Fachkräftenachwuchses insbesondere für KMU in den vergangenen Jahren in ganz Europa an Attraktivität gewonnen. Der Meistervorbehalt ist ein zentraler Baustein in diesem System und sichert die Ausbildung in den handwerklichen Betrieben. Er muss deshalb besonders geschützt werden.

Zur Sicherung der Fachkräfteversorgung müssen die Berufsbildungsstrukturen sowie das Engagement der Kammern und Verbände gestärkt und europaweit ausgebaut werden. Mit Nachdruck fordert das Handwerk, die Gleichwertigkeit der beruflichen und akademischen Bildung in Europa anzuerkennen. Wichtig ist auch weiterhin die Förderung des grenzüberschreitenden Lehrlingsaustauschs in der Berufsbildung über das Programm Erasmus+. Das Handwerk spricht sich zudem dafür aus, auch den Austausch von Gesellen über Erasmus+ zu ermöglichen.



Digitalen Wandel ermöglichen

Weg von "Industrie 4.0" hin zu "Wirtschaft 4.0" - Sicherung eines fairen Datenzugangs - Förderung von Innovationen in Handwerk und KMU

Bisher dominiert in der Politik ein überwiegend auf industriespezifische Belange ausgerichtetes Verständnis der Herausforderungen und Chancen der Digitalisierung („Industrie 4.0"). Hierbei wird jedoch verkannt, dass die Digitalisierung eine sämtliche Wirtschaftsbereiche und letztlich die gesamte Gesellschaft erfassender Prozess ist. Das Handwerk fordert daher eine Verständigung auf die Begrifflichkeit „Wirtschaft 4.0“. Der breit angelegten Innovationskraft der KMU des Handwerks in Europa muss wieder mehr Beachtung geschenkt werden.

Das Handwerk fordert insbesondere die Sicherung des Zugangs von KMU zu unverzichtbaren Dateninformationen und die Verhinderung unlauterer Handelspraktiken auf digitalen Plattformen. Der Auf- und Ausbau regionaler Beratungsstrukturen zur Sensibilisierung und Unterstützung von KMU des Handwerks bei der Implementierung neuer Technologien verdient mehr Beachtung und bedarf einer zielgerichteten Förderung. Kammern und Verbände sind als Bestandteile digitaler Beratungsnetzwerke und Kompetenzzentren wichtige Multiplikatoren.



Energiepolitik verhältnismäßig gestalten

Keine Quoten und starren Ziele - Förderung einer Technologieoffenheit - Sicherung der Energieversorgung für KMU in Europa

Eine der großen Herausforderungen der kommenden Jahre in Europa wird es sein, eine sichere, wettbewerbsfähige, bezahlbare, aber nachhaltige und klimaverträgliche Energieversorgung sicherzustellen. Die Mitgliedstaaten können in dieser grundlegenden Frage nicht isoliert agieren. Ein zügiger Auf- und Ausbau der erforderlichen Infrastruktur im Rahmen der Klima- und Energiepolitik in Europa ist entscheidend, um die im Pariser Klimaabkommen festgelegten, bis 2050 umzusetzenden Ziele, erreichen zu können. Dabei ist eine weitgehende Technologieoffenheit zur Verfolgung dieser Ziele erforderlich. Auf die energetische Gebäudesanierung muss mehr Augenmerk gelegt werden, um den CO2-Ausstoß nachhaltig zu reduzieren. Die Energiepolitik darf aber nicht durch zu viele Vorgaben, wie starre CO2-Reduktionsziele oder Quoten für bestimmte Energieformen, überfrachtet werden.



Mobilität gewährleisten

Berücksichtigung der Mobilitätsbedürfnisse von KMU - Kritische Analyse der Maßnahmen zur Luftreinhaltung - Bürokratie vermeiden

Mobilität als Grundvoraussetzung für die wirtschaftliche Existenz der Handwerksbetriebe muss auch in Zukunft gewährleistet sein. Keinesfalls dürfen durch überzogene Anforderungen bei der Luftreinhaltung und eine einseitige Fokussierung von Maßnahmen zur Luftreinhaltung auf den Straßenverkehr ohne gründliche Analyse der Ursachen der Verschmutzung und der Wirksamkeit der Maßnahmen die Unternehmen existenzgefährdenden Belastungen ausgesetzt werden. Ferner müssen bei allen Anforderungen, welche die Auslieferung und den Transport im Handwerksbetrieb betreffen, die Verhältnisse in kleinen und mittleren Unternehmen des Handwerks angemessen Berücksichtigung finden. Beispielsweise sind weiterhin passfähige Ausnahmen zur Einhaltung und Aufzeichnung von Lenk- und Ruhezeiten im Rahmen des Fahrpersonalrechts erforderlich.

 

Robert Fleschütz

Abteilungsleiter Wirtschaftspolitik und Statistik

Telefon 089 5119-117

Fax 089 5119-305

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